Ein anderes, wichtiges Thema, über das ich mich regelmäßig
aufregen könnte, ist „Mental Health“.
Depressionen und andere seelische Krankheiten werden in den
Medien immer als etwas dargestellt, das sich der Betroffene irgendwie nur einbildet.
„Du hast ein Burnout? Wie das denn, hast doch nur im Büro
gearbeitet!“
„Du hast Depressionen? Warum das denn? Du lachst doch so viel,
bild dir nichts ein!“
Mit solchen und ähnlichen Kommentaren muss man sich ständig
herumschlagen. Solange man nicht sichtbar krank ist, ist man nicht krank. Fehlt
dir kein Bein, hast du den Arm nicht in Gips oder hustest und röchelst mit
deiner Grippe, bist du de facto nicht krank. Ein Trugbild, denn viele seelische
Krankheiten machen dir das Leben zur Hölle.
Wenn der Wecker klingelt und du morgens keine Energie hast,
auch nur das Gerät auszuschalten.
Du starrst deinen Wäscheberg an und weißt, dass allein das
Waschen davon an deinen letzten Reserven zerrt.
Du hast Tage lang dein Besteck und Geschirr gesammelt, weil
dir der Antrieb fehlte.
Spinnen wohnen in deinen Zimmerecken, weil du dich nicht
aufraffen kannst, sie wegzuwischen.
Auf der Arbeit geistert dir ständig die Frage durch den Kopf
„Was mach ich hier eigentlich?“
Du funktionierst, deswegen fällt es denen, die dich kennen,
nicht auf. Wenn dich die kleinste Abweichung vom Tagesplan aus der Bahn wirft
und dich stresst, greift das Burnout dich wieder voll an. Viele werden grade
wegen Burnout für sehr, sehr lange krankgeschrieben, viele gehen sogar in die Frührente,
weil das Arbeiten unter den Umständen nicht mehr für sie infrage kommt.
Depressionen sind nicht nur schwarz-weiß. Sie sind auch
nicht nur grau. Sie sind nicht nur Selbstmord. Selbstverletzung. Sie sind alles,
was vorher beschrieben wurde. Menschen, die damit leben, wissen wie es ist, von
den eigenen Dämonen zurückgehalten zu werden, mit ihnen zu leben, mit ihnen …
ja eine Freundschaft zu schließen.
In den meisten Romanen, die ich gelesen habe, leidet der
Protagonist unter der klassischen Depression mit den klassischen auf Wikipedia
nachlesbaren Problemen. Ritzen gehört schon fast zum Erkennungsmerkmal der
Depressiven. Aber mehr als die Narben auf den Armen ist da nicht. Mir fehlt in
den Romanen immer der Realitätsbezug. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Foren
nicht gelesen oder Gespräche mit Depressiven nicht gesucht werden. Es gibt auch
Beratungsstellen des Diakonischen Werks, wo auch diejenigen hingehen können,
die sich nur informieren möchten. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.
Warum also auf eine Website verlassen und ein Krankheitsbild beschreiben, von
Person zu Person anders ist, aber auf Wikipedia statisch erscheint?
Nicht jeder der Depressiven hat schon 10 Selbstmordversuche
hinter sich. Nicht jeder zieht 24/7 ein Gesicht wie 10-Tage-Regenwetter. Die Stimmung
ist nicht immer scheiße. Sie kann gut sein. Es wird gelacht. Man denkt mal
ausnahmsweise nicht an die schlechten Dinge, an die Dunkelheit in seinem Kopf. Man
reißt selbst Witze. Unternimmt etwas mit Leuten. Geht ins Kino, feiern oder essen.
Aber dann gibt es auch Momente, in denen die Stimmung umschlägt, man nach Hause
und weinen will. Wenn alles zu viel wird. Wenn die Welt aufhört, sich zu
drehen. Wenn man sich trotz Gesellschaft allein fühlt.
Niemand ist daran schuld. Weder der Betroffene, noch die
Freunde oder Familie. Es ist eine Krankheit, die jeden treffen kann.
Sicher gibt es Faktoren, die mit in das Krankheitsbild spielen.
Vergangenheit – Mobbing in der Schule, Verluste und andere Traumata. Dasselbe
gilt für jede andere seelische Krankheit oder psychische Störung. Magersucht
kommt nicht von irgendwo her. Sie hat einen Auslöser – oftmals Mobbing, dass
jemand zu fett sei, nicht hübsch sei. Oftmals ist eine psychische Erkrankung
nicht allein. Sie packen zu einem Zahnrad gleich ineinander, gehen Hand in
Hand.
Aber solche Dinge zu beschreiben bedarf genau wie jedes
andere Thema Recherche. Man braucht Empathie, um die Leute zu verstehen.
Wie ich bereits in einem früheren Post erwähnte, wird oft
nicht gezeigt, dass ein Charakter eine solche Erkrankung hat. Er wird einmal als
„depressiv“ oder „magersüchtig“ betitelt, danach liest man nur noch das Adjektiv,
ohne eine entsprechende Handlung zu bekommen.
Lasst den Charakter doch mal in einer eingesifften Wohnung leben,
weil er nicht die Energie hat, die Wäscheberge zu beseitigen oder zu saugen. Das
heißt nicht, dass er direkt ein Messie ist. Lasst euren Charakter nach einer
Party zusammenbrechen, sobald er allein ist, weil er mit den fröhlichen Leuten
nicht klarkommt. Lasst ihn/sie nach dem Essen kotzen gehen, beschreibt wie er/sie
sich dabei fühlt. Ihr alle habt mal das Essen wieder in die Keramikschüssel
gegeben (und sei es nur nach dem Saufen gewesen), ihr wisst, wie sich die
brennende Speiseröhre anfühlt, wie eklig der Geschmack ist oder der Geruch im
Bad, selbst wenn gespült wurde. Lasst ihn das Essen ausfallen lassen. Lasst ihn
aus der Bahn geworfen sein, weil sein Auto an dem Tag, an dem er seinen Einkauf
macht, kaputt geht – das ist so, wenn man an Burnout leidet.
Ich habe Erfahrungen mit Depressionen aus eigener Hand.
Meine Arme sind nicht aufgeschlitzt, ich habe noch nie Schlaftabletten
genommen, aber ich habe Zusammenbrüche, ich kann manchmal nicht aufstehen, Migräne
lässt mich heulend auf dem Badezimmerboden sitzen und lässt mich verzweifeln.
Ich habe mit Menschen mit Burnout gesprochen, sie schilderten
mir ihre Symptome und wie sie sich fühlen, wenn etwas nicht in ihren Plan
passt.
Es ist nicht schwer, an Informationen zu kommen,
Erfahrungsberichte zu lesen oder selbst zu erstellen. Und so bunt und
unterschiedlich wie sie in der realen Welt sind, können sie auch in euren Storys
werden.
Wichtig ist nur, dass man sensibel darangeht und vielleicht
eine Triggerwarnung für all diejenigen schreibt, die selbst betroffen sind und
dadurch aus der Bahn geworfen werden können. Gespräche können viel bringen, und
sei es nur online. Niemand beißt euch, wenn ihr höflich anfragt. Viele sind
bereit, mit euch zu sprechen.
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