Charakterentwicklung
ist ein Thema, das den ganzen Roman verändert. Je nachdem, wie die Charaktere
angelegt und dargestellt werden, ergeben sie der Erzählung eine andere Farbe.
Was bei dem ersten groben Konzept wichtig ist, ist der Grund,
warum diese Person im Roman eine Rolle spielt, d.h. ihr wählt euren
Protagonisten/Main Character. Wie er/sie aufgestellt ist, bestimmt den
Handlungsverlauf und die Farbe, die ihr der Story geben wollt.
Ein Beispiel:
Es handelt sich um eine süße Lovestory mit männlicher und
weiblicher Hauptrolle. Die Story soll auch süß und locker werden - etwas, das
man zwischendurch "mal eben" weglesen kann. Nehmen wir also Young
Adult (Personen zwischen 16 und 18/16 und 21 - je nach Definition) und reißen
mal ein Klischee aus: Er ist ein schüchterner Gymnasiast mit
Kunst-Leistungskurs und Philosophie in den Prüfungsfächern - quasi das
"männliche" Mauerblümchen. Sie ist im Musikleistungskurs einen Jahrgang
über ihm, der Inbegriff von Punk und Lautstärke. Damit haben wir schon einmal
das Genre, die Zielgruppe und die Main Characters festgelegt. Aber was jetzt?
Ich für meinen Teil
setze mich nicht hin und arbeite die Personen bis ins kleinste Detail aus. Ich
muss die Charaktere „fühlen“. Bekomme ich kein Feeling für den Menschen, den
sie darstellen sollen, wird mir auch die Story nicht von der Hand gehen.
Ich halte nicht viel
von den detaillierten Steckbriefen und das „Meet your Character“-Spektakel, das
viele Autoren vor dem ersten Wort im Manuskript abhalten. Ich habe eher das Gefühl,
dass man Büchern anmerkt, wenn die Charaktere übermäßig geplant sind, denn sie
verhalten sich im Text konstruiert.
Sicher, wir alle
schreiben einen Text, der von uns gebaut und nach unseren Idealen ausgerichtet
ist (in den meisten Fällen). Aber in einigen Romanen merkt man, dass sich der
Autor erst tausend Tage hingesetzt hat, um sein „Personal“ zu entwickeln. Sie
lassen oft die Spontanität des „echten Lebens“ vermissen.
Daher würde ich für
unser Beispiel folgendes empfehlen: Macht euch Gedanken über das erste Kapitel,
die erste Szene. Und dann werft ihr euch und den Charakter ins kalte Wasser.
Nennen wir unseren Künstler Mark und unsere Musikerin heißt Stacy.
Beispiel:
„Mark verließ mit
einem leisen Seufzen seinen Matheunterricht. Fünfte und Sechste mit Zahlen und Gleichungen
zu verbringen glich für ihn seelischer und körperlicher Folter. Er war besser
mit Farben, Formen und Leinwänden. Sein Blick flog über die Gruppe jüngerer Schüler,
die im Gegensatz zu ihm das Glück hatten, bereits das Wochenende einläuten zu
dürfen. Für ihn stand noch eine Doppelstunde Geschichte an. Er hatte das Glück
gehabt, noch im Geschichtsleistungskurs zu landen, sonst hätte er Politik
machen müssen. Tote waren ihm lieber als die Lebenden.“
Was wir also hier
sehen ist die Ausgangssituation und verpassen Mark schon einmal einen groben
Umriss dessen, was den Leser noch erfahren wird. Ab diesem Moment würde ich
rein mit dem Flow gehen. Im Laufe des Texts erklären, warum er weniger gern mit
Menschen zusammen ist und wo seine Stärken liegen. Es gibt viele Möglichkeiten,
von diesem Punkt aus weiter zu gehen.
Ich persönlich
schreibe nur nicht im Young Adult, weshalb ich euch die Ideenentwicklung überlassen
würde.
Was nur ganz wichtig
ist, zeigt dem Leser, was ihr meint!
Zu oft lese ich in
Romanen „Der Bad Boy war böse“ und danach entwickelt sich der Typ zum softesten
Idioten, der nicht einmal eine Fliege erschlagen kann, ohne dabei zu heulen.
Oder „Sie ist tough“
und es wird nie auch nur einmal erwähnt, was sie tough macht.
Beispiel 1: Mirko war der Bad Boy
der Schule. Mit seiner Lederjacke, den schwarzen, zerrissenen Jeans hatte er
schon einen düsteren Touch. Dazu die kurzen, blonden Haare und ein kühler
Ausdruck in den Augen vervollständigten das Bild. Er war der harte Junge. Jeder
machte einen Bogen um ihn.“
Oftmals lernt er dann
sein Loveinterest kennen und wir erfahren nicht einmal, warum er denn der böse,
harte Junge ist. Das wird meistens nur mit den Adjektiven wie „dunkel, böse,
respektlos“ etc. beschrieben, ohne dass wir sehen, dass er wirklich diese Adjektive
verdient.
Besser: > „Mirko schlug den Kragen seiner schwarzen Lederjacke in
hoch und schob lässig die Hände in die Hosentasche. Seine Ellenbogen eckten an
Menschen an, die ihm im Weg standen. Ihre Empörung drang an seine Ohren, er
ignorierte sie geflissentlich und bahnte sich den Weg durch den Schulkorridor. „Herr
Schulz!“ Die Lehrerin, die seinen Namen über den Flur schrie, hatte ihn auf den
Kieker. Seitdem er ihren pinken Drahtesel versehentlich
mit der Stoßstange seines BMW geküsst hatte, hasste sie ihm. Mit einem halben
Grinsen drehte er sich zu ihr um und legte den Kopf schief. „Wie kann ich
helfen, Helen?“
Hier erfährt man direkt etwas über seine Attitüde. Und auch ohne das
Wort „böse“ oder „respektlos“ bekommt man einen ersten Eindruck von dem, was
der Charakter sein soll. Sicher, manchmal kann man eine kurze Beschreibung mit solchen
Adjektiven anführen, vor allem wenn es innerhalb einer Charaktervorstellung während
eines Gesprächs passiert. Aber um einen Charakter zu Beginn eines Kapitels
darzustellen, würde ich auf eine zeigende Variante innerhalb des Storyverlaufs
zurückgreifen, denn damit wird der Text lebendig und der Charakter bekommt
gleich Handlungen, die ihn sympathisch oder abstoßend erscheinen lässt (um zwei
Extreme zu nennen). Hier greift das klassische „Show, don’t tell“. Es macht
einen enormen Unterschied, ob ihr euren Charakter platt mit Adjektiven
beschreibt und ihn dann so im Raum schweben lasst, bis ihr das „The End“ unter
euer Manuskript setzt, oder ob ihr euch hinsetzt und seine Handlungen für ihn
sprechen lasst. Das ist nicht nur im generellen Story-Telling wichtig, sondern
auch beim Charakter-Bau.
Was müsst ihr also
beachten?
1: Genre
> Fantasy und Sci-Fi braucht
manchmal andere (Main) Charaktere, als einfache Lovestorys, dessen sollten sich
die Autoren bewusst sein.
2: Zielgruppe.
> Wenn man für junge Menschen
schreibt, wird man andere Themen ansprechen und dementsprechend andere
Charaktere brauchen als für „Adult Fiction“.
3: Die Rolle des
Charakters
> Ist er der Main? Ein wichtiger
Nebencharakter? Ein nötiger Sidekick?
4: Passt der Main
Character in die Welt, in die ich ihn werfe?
> Ein schwacher Typ wird kaum als
durchgreifender Offizier durchgehen, Soldaten werden ihn wahrscheinlich
semirespektieren, aber sich über ihn lustig machen, wahrscheinlich sogar ihre
Spielchen mit ihm treiben, wenn niemand sonst zu sieht (Zieht euch dazu mal so Filme
wie „Heartbreak Ridge“ mit Clint Eastwood rein). In einer bspw. von Männern
dominierten Welt wird sich keine schüchterne Frau einfach so, aus dem Nichts,
erheben. Es braucht wenn einen Grund.
5: Ist seine
Persönlichkeit passend, um bspw. ein Kartell zu stürzen?
> Ist er/sie durchgreifend? Hat
er/sie Führungsqualitäten? Kampferfahrung? Diplomatisches Geschick? Hören Menschen
auf ihn/sie? Das sind alles Punkte, die beachtet werden müssen.
6: Der Name.
>
Wollt ihr der Personen einen 0815 Namen wie Kevin verpassen? Dann müsst ihr mit
direkten Vorurteilen rechnen. Nennt ihr ihn Jacque-Maurice-Noel von Linden habt
ihr ebenso Vorurteile und oftmals wird der Charakter abgelehnt. Ganz gleich,
wie geil der Charakter angelegt ist. Versucht, von „sprechenden“ Namen wegzubleiben,
denn damit wird direkt ein Bild gemalt. Kevin (dank Hartz-IV-TV) der Sohn einer
hauptberuflich arbeitslosen Familie, die das Arbeiten generell ablehnen und sechs
Kinder haben. Jacqueline, Kevin, Mandy, Chantal und Angeline. (Das ist jetzt überspitzt
und keine Wertung!) Jacque gibt ungefähr dasselbe Bild – nur andersherum: Die neureiche
Mutti, die ihren Sohn extra einen hochtrabenden Namen verpasst, um ihn von den „Arbeiter“-
oder „Arbeitslosen“-Kindern abzugrenzen.
7: Die Vergangenheit
>Die Vergangenheit
hat viel mit der Gegenwart zu tun. Überlegt euch vor oder während des
Schreibens (so mache ich das, als bekennender Pantser), die Vergangenheit des
Charakters. Bei mir ist es oft so, dass ich eine Idee habe, was in der
Vergangenheit passiert ist, noch bevor der Charakter einen Namen hat. Ich verbringe
keine Zeit mit dem Planen, ich schreibe drauflos und das, was dann dabei
rauskommt, sind die unterschiedlichsten Charaktere. Hier fällt auch das
Stichwort Mental Health. Depressionen, PTBS und andere Störungen sorgen dafür,
dass sich ein Mensch verändert. Sei es der Ausbruch von Depressionen, die oft
keinen Auslöser brauchen, oder ein Trauma. Das alles hat Einfluss auf die Person,
die ihr erschafft und sollte nicht mit einfachen Adjektiven abgetan sein.
Beschreibt, was die Person fühlt, wie sie sich fühlt. Aber nicht, indem ihr
schreibt „Sie ist traurig“, sondern lasst sie weinen – ganz nach dem Prinzip
von „ugly crying“ mit Tränen, Schnodder, roten Wangen, verzogenen und bebenden
Lippen, zitternden Händen. Schreibt ihr „Er ist wütend“ , sondern lasst ihn mal
einen Spiegel einwichsen, ihn bluten und schreien. Lasst ihn auf das
Waschbecken oder eine Wand einprügeln. Zeigt den Lesern, was die Emotionen mit
dem Menschen machen, den ihr zu erschaffen gedenkt, denn erst damit erreicht
ihr eine Bindung, erreicht, dass die Leser mitleiden.
8: Vermeidet Klischees.
> Das Mauerblümchen und der Bad Boy. Der Streber und das Model Wenn ihr
es unbedingt schreiben müsst, macht es irgendwie originell, indem ihr den
Charakteren besondere Attribute gebt, die von einem Streber nicht erwartet
werden. Vielleicht ist er sportlich und arbeitet, ohne dass jemand es
mitbekommt, auf eine Karatemeisterschaft oder ähnliches hin. Gebt dem Model „Brain“
– lasst es nicht blond, dürr und dumm sein.
9: Vermeidet es, von
anderen erfolgreichen Autoren zu kopieren.
> Jeder will den Harry Potter schreiben
oder die Katniss oder die Tris. Alles super tolle Helden (ich habe die Bücher
aus mehreren Gründen nicht gelesen). Der clevere Junge mit Magierhintergrund, die
freiwillige Heldin oder die alles riskierende junge Frau, die aus dem Umfeld
ausbricht. Das gab es schon. Jetzt seid ihr dann, um eure Version von Stärke
und Überlegenheit und Mut zu schreiben.
Für mich ist
Charakterdesign überraschend einfach. Ich weiß, dass ich mich damit
wahrscheinlich unbeliebt machen werde, aber mir fällt es nicht schwer, einen
Roman zu schreiben. Die Details vermerke ich mir, double checke alles, was ich
schreibe, während ich schreibe. Ich überarbeite im ersten Prozess, nicht erst
hinterher. Wenn mein Roman fertig ist, ist das bereits der 4.Draft, nicht der erste.
Das mag für viele unlogisch klingen, aber das ist meine Arbeitsweise, die sich
seit 13 Jahren für mich bewährt hat.
Charaktere zu entwickeln
ist genauso easy für mich, wie die Welt zu erschaffen oder die Sprache in einer
Welt. Für mich greifen keine Schreibratgeber oder tolle Tipps von Bestseller-Autoren. Ich kann mit Methoden für Storyentwicklung nichts anfangen und daher erschaffe ich meine Charaktere während des Prozesses und passe sie der Story an (im späteren Verlauf geht das Hand in Hand und ich mache mir da keinen Kopf drum). Ich fühle die Charaktere, weshalb es für mich leicht ist, ihnen eine Geschiche zu geben. Aber ich hoffe, dass die wenigen "Tipps", die ich zusammenbekommen habe, vielleicht
dem einen oder anderen helfen können, wenn mal der „Struggle wieder Real“ ist.
Eigentlich gilt nur
eines: Vermeidet Beschreibungen und lasst die Handlungen für den Charakter
sprechen.
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